Ursula NeugebauerUrsula Neugebauer
Ausstellungen 2006

Ursula Neugebauer

Ursula Neugebauer

Von der Verhüllung der Erotik zur Erotik der Verhüllung

10. Dezember bis 18. Februar 2007

Im Westen nichts Neues? Von wegen! Seit dem 11. September 2001 stehen Muslime unter Generalverdacht. Islamische Frauen, die sich mit ihrer verhüllenden Kleidung gegenüber dem öffentlichen Blick abschotten, werden als bedrohlich wahrgenommen und erfahren aggressive Ablehnung. Tschador und Kopftuch gelten pauschal als patriarchale Unterdrückung der Frauen durch Männer und Religion. Doch eindimensionale Erklärungsmuster mit Absolutheitsanspruch blenden Zwischentöne aus und sind deshalb falsch.

Die in Berlin lebende und an der UdK in Berlin lehrende Künstlerin Ursula Neugebauer hat sich in neuen Arbeiten mit den Sphären des Privaten und des Öffentlichen im Kontext religiöser Determinierung beschäftigt. Sie wurden kürzlich in dem von Gudrun Thiessen-Schneider ambitioniert geführten Kunstverein in der Grafschaft Bentheim in Neuenhaus präsentiert. Bereits früher hat sich Ursula Neugebauer dem Aufruhr von Psyche und Körper gewidmet und dafür poetische Bilder gefunden. Grenzüberschreitungen, Entäußerung, Hysterie und das Umschlagen in Aktion klingen schon in den Titeln an. "Aus der Haut gefahren" heißt eine frühere Installation, die als neue Fotoarbeit in Neuenhaus präsentiert wurde. Kleidungsstücke der Künstlerin scheinen ein Eigenleben zu führen, da sie von an ihnen befestigten Motorkugeln ständig bewegt werden. Das Diptychon stellt zwei nahezu identische Szenen symmetrisch gegenüber, wobei im rechten Bild die Bewegung sichtbarer ist. Das Aus-der-zweiten-Haut-fahren, das Entblättern und Nacktsein ist ein Spiel um Liebe, Sexualität, Intimität und Persönlichkeit. Diese Arbeit basiert auf einem westlichen Verständnis und Verhältnis zu Körper, Sexualität und Öffentlichkeit, denn in der modernen westlichen Gesellschaft lösen sich die Grenzen für Intimität auf und Sexualität und Psyche werden öffentlich behandelt und oft bis zur Unerträglichkeit entwürdigend nach außen gekehrt. Gegen die Schamlosigkeit kommt ein neuer Puritanismus fundamentalistischer Art auf, der nicht nur in den USA anzutreffen ist.

Ausstellungsansicht
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Ausstellungsansicht
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Ausstellungsansicht
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Haarzeichnung
Haarzeichnung
Haarzeichnung
Haarzeichnung
Ausstellungsansicht
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Ursula Neugebauers neue Arbeiten schlagen eine gegensätzliche Blickrichtung ein, indem sie den Akt des Verhüllens ins Zentrum rücken. Mit einer Ordensschwester und einer jungen Muslimin hat die Künstlerin Gespräche über deren Verständnis von Schönheit, Haar, Körper und Intimität geführt und zu einer bemerkenswerten DVD-Projektion verarbeitet. Die 64-jährige Schwester vom Orden "Unserer Lieben Frau" aus Berlin, die in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung tätig ist (!), äußerst sich ebenso zu ihrem Verhältnis zu Haar, Körper und Verhüllen wie die sehr eloquente 25-jährige und in Deutschland geborene Politologiestudentin aus einer türkischen Familie. Beide vertreten selbstbewusst ihr Leben in Übereinstimmung mit der jeweiligen Religion. Interessanterweise kommt die Muslimin aus einer säkularen Familie und hat sich als Jugendliche stärker religiös orientiert und bewusst für das Verhüllen des Haares entschieden. Sie nutzt diese Hinwendung zur Religion als ein Mittel der Identitätsschaffung in einer als ablehnend empfundenen Gesellschaft. Das führt zu einer starken Orientierung auf die vertretenen Werte mit Ausschließlichkeitsanspruch, dem implizit eine Ablehnung anderer Werte innewohnt. Das eigene Schönheitsideal ist hermetisch mit der eigenen ethnischen Gruppe verbunden, so dass nur schwarzes Haar als erotisch empfunden wird. Dass beide Repräsentantinnen zu diesem Experiment überhaupt bereit waren, ist eine Stärke, die sie sympathisch macht und eine ablehnende Position erschwert.

Für einen Bildzyklus hat Ursula Neugebauer Frauen gebeten, ihr Haare zu überlassen, mit denen sie die "Haarzeichnungen" fertigt. Die Haare der Spenderin werden in Form ihres Körperprofils auf einem 43x32 cm großen Blatt fixiert. 100 dieser fragil wirkenden Frauenportraits waren in Neuenhaus zu sehen. Jeweils 50 Portraits sind aus Haaren muslimischer Frauen aus Berlin gearbeitet und 50 mit Haaren nicht muslimischer Frauen aus Neuenhaus, die zur Haarspende gewonnen werden konnten. Ihre Portraits sind stark durch die Mode des Färbens und Tönens geprägt, während die Bilder von den Musliminnen durchweg aus schwarzen Haaren gefertigt sind.

Die Musliminnen haben also gerade das Symbol für Intimität, einen ihrer "Körperschätze", der nur dem Mann und der engsten Familie offenbart wird, als Material zur figurativen Darstellung ihres Körpers für die Öffentlichkeit "geopfert". Auch wenn die Spenderinnen anonym bleiben, wäre es spannend zu erfahren, ob sie damit ein Sakrileg verletzt haben. Im hintersten Raum waren sieben von der Künstlerin genähte Tschadors als Textilskulpturen in Reihe an der Wand befestigt. Die Öffnungen klaffen auseinander und geben den Blick auf ein leuchtend rotes Innenfutter frei. Damit intendiert die Künstlerin bewusst die Assoziation zu Körper, Sexualität, Leidenschaft und Vulva. Zwischen Verhüllung und Erotik besteht eine direktes Verhältnis. Der Islam weiß - ebenso wie das Christentum - von der Macht der Erotik und der Faszination des weiblichen Körpers auf den Mann und fordert deshalb die Verhüllung, was wiederum der Fantasie ihren freien Lauf lässt. Homosexuelle Beziehungen sind auf dieser Ebene überhaupt nicht existent, kommen in den alt- und neutestamentarischen Erzählungen aber auch nicht vor. Vor westlicher Arroganz im Urteil muss gewarnt werden, denn ist es nicht möglich, dass Frauen den Tschador auch als Schutz begreifen vor zudringlichen Blicken? Und weiter gefragt: Ist der Verlust von Scham in vielen medialisierten westlichen Gesellschaften eine Befreiung? Auch sollte man die Entwicklung der deutschen Nachkriegsgesellschaft von der spießigen Prüderie zum Verlust der Scham innerhalb von nur 50 Jahren im Kopf Revue passieren lassen.

Die Installation der Tschadors besitzt auch eine gewalttätige Konnotation und erinnert an ausgeweidete Tiere, die in einem Schlachthaus hängen. Mit dieser Ambivalenz lässt Ursula Neugebauer Bilder entstehen, die uns unser Verhältnis zu Körper und Sexualität im Gegensatz zu islamischen Gesellschaften reflektieren lassen.

Matthias Reichelt
in: Kunstforum International, Bd. 184, Maerz - April 2007

Katalog: "Ursula Neugebauer, Aus der Haut gefahren", 90 Seiten in Farbe, mit Texten von Manfred Schneckenburger, Michael Stoeber, Ferdinand Ullrich u.a.. 16 Euro


Sponsors: Land Niedersachsen, Stadt Neuenhaus